ERST WENN DER LETZTE SURF SHOP SCHLIESST …
… werden wir feststellen, dass man im Internet gar nicht surfen kann.
Eine Kolumne von Andy Wirtz – Inhaber der Marke norden-surfboards

Es ist ein sonniger Tag in Kalifornien. Der Wind ist warm, das Wasser türkis – aber wir sind nicht in den USA, sondern in Schleswig-Holstein. Kalifornien mit „K“. Auf dem Wasser? Niemand. Nur Badegäste, die sich in der Sonne aalen. Mein Foil ist montiert, der Wing aufgepumpt – es kann losgehen.
Ach Shit. Den Neo vergessen. Nicht dein Ernst. Wo kriege ich jetzt auf die Schnelle einen her?
Die goldenen Jahre
Mein Einstieg in den Wassersport begann Mitte der 90er, als mir mein Vater einen Windsurfkurs auf dem heimischen Baggersee schenkte. Damals hatte ich nicht darĂĽber nachgedacht, obwohl in den 80ern fast jeder ein Surfbrett besaĂź. Windsurfen war einfach das Ding.
Die Surfschule gehörte zu einem Sportgeschäft vor Ort, das neben Ski und Tennisschlägern auch eine Ecke für Windsurf-Equipment hatte. Unser Surflehrer – Sportstudent, wasserstoffblond, braungebrannt, ein cooler Typ – verbrachte seine Semesterferien auf Hawaii, Fuerteventura oder an anderen magischen Orten. Mit seinen Geschichten und Fotoalben zog er mich völlig in den Bann. Von da an wollte ich nichts anderes mehr machen. Er war mein Held.
Damals gab es in fast jeder Kleinstadt einen Surfshop oder zumindest ein Sportgeschäft mit Windsurf-Abteilung. An jedem See, an jedem noch so kleinen Wasserloch eine Surfschule. Wir drückten uns die Nasen an den Schaufenstern platt, wenn neue Boards oder Segel ausgestellt wurden. Das Abhängen im Surfshop war nicht nur Shopping – es war ein Teil des Surfens selbst.
Wandel der Disziplinen – und der Shops
Der Glanz des Windsurfens hielt nicht ewig. Mitte der 90er eroberte das Kitesurfen die Bühne und verdrängte den Windsurf-Boom. Die Shops blieben, aber mit angepasstem Sortiment. In den 2000ern kam SUP hinzu, das auch diejenigen zurückbrachte, denen Kiten zu anspruchsvoll war. Mit dem aufblasbaren ISUP entdeckten plötzlich auch Baumärkte und Supermärkte das Geschäft.
Das Wellenreiten, seit jeher Sinnbild für Sommer, Sonne und Freiheit, gewann ebenfalls an Sichtbarkeit – selbst an Orten ohne nennenswerte Wellen.
Die Teilnehmerzahl im Wassersport wuchs trotzdem nicht dramatisch. Stattdessen machten alle ein bisschen von allem. Die Shops reagierten mit immer breiteren Sortimentsmischungen – und standen damit vor finanziellen wie logistischen Herausforderungen.
Der Onlinehandel – Segen und Fluch
Dann kam der Onlinehandel. Fehlte im Shop ein Teil, bestellte man es einfach im Netz – zum besten Preis, versteht sich. Selbst Händler vor Ort wurden mit Smartphone-Preisvergleichen in die Knie gezwungen. Die großen Webshops warben mit tausenden Artikeln, ohne je alles auf Lager zu haben: Bestellungen liefen direkt über die Lieferanten. Entscheidend war nur noch der Preis.
Und selbst diese Shops bekamen Konkurrenz – durch Direktanbieter, die ihre Produkte ohne Zwischenhändler verkaufen, oft zu einem Drittel des Preises. Selbst die Nachhaltigkeits-Community, sonst kritisch bei Massenware, trägt stolz ihre Olaian-Ponchos und Gong-Boards an den Strand. Denn ja – Surf-Equipment ist teuer, und Preis schlägt Moral.
Was wir verlieren
Die Branche steht unter Druck: immer mehr Hightech, immer niedrigere Margen. Brauchen wir Shops noch? Die Helden gibt’s jetzt auf Instagram, Anleitungen auf YouTube.
Aber dann stehe ich hier, an einem Samstagnachmittag, ohne Neo. Kein Kollege in der Nähe, Unterhose zu kalt, Rückfahrt 30 Kilometer? Auch das Internet hilft jetzt nicht. Zum Glück gibt es am Strand von Kalifornien noch eine Surfschule, bei der ich einen Anzug leihen kann. 15 Euro später fliege ich übers Wasser.
Im letzten Jahr sind wieder fünf Shops aus meiner Kundenkartei verschwunden – manche nach über 30 Jahren. Keine blonden Helden mehr hinterm Tresen, keine Geschichten, keine Ware zum Anfassen.
Fazit
Es gibt immer noch viele Wassersportler. Surfen findet immer noch auf dem Wasser statt – nicht im Netz. Und ein Surfshop ist so relevant wie der Surfspot in deiner Nähe. Ein Freund, selbst Jahrzehnte in der Branche, sagte kürzlich zu mir:
„Wenn der Surfshop stirbt, stirbt auch das Surfen.“
Habt ihr noch einen Surf Shop in eurer Nähe?
Vielleicht denkt ihr daran, wenn ihr das nächste Mal etwas in den Online-Warenkorb legt.
Ăśber den Autor
Andy Wirtz ist Inhaber der Marke norden-surfboards, seit Jahrzehnten fester Bestandteil der deutschen Surfszene und eine feste Größe in der internationalen Surfbranche. Von den goldenen Tagen des Windsurfens über den Aufstieg des Kitesurfens bis zum heutigen Boom von SUP und Foiling – er hat alle Trends miterlebt, mitgestaltet und kritisch begleitet. Seine Perspektive verbindet persönliche Leidenschaft mit jahrzehntelanger Branchenerfahrung
Anm. d. Red.
Genau wie Surfshops braucht es auch Wassersport-Medien. Nachdem ihr euch auf Instagram schusselig gescrollt habt, habt ihr vielleicht diesen Artikel gelesen und erkannt, dass es die Arbeit von Enthusiasten wie Andy von Norden oder dem Stand Up Magazin braucht. Wer weiĂź, vielleicht erkennt der eine oder andere Leser sogar, dass ein kleines Jahresabo zur Erhaltung von Core-Medien gar keine so schlechte Idee ist.
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