von Andy Wirtz / Norden Surfboards

Ein Freund erzählte mir mal bei einem kleinen Ausflug auf der Treene in der Nähe von Flensburg, dass wenn man dem Fluss bis zum Ende folgt, man irgendwann in der Nordsee landet. Wasser entspringt meistens einer Quelle, wird zu einem Bach, verwandelt sich in einen Fluss, fließt in Seen, fließt durch Kanäle und endet schließlich im Meer. Ich wohne in Westensee, 20 km außerhalb von Kiel, eine wunderschöne Gegend, nicht direkt am Meer, aber mit viel Wasser drumherum. Die Eider fließt durch den Westensee, von dort weiter bis in den Nord-Ostsee-Kanal und endet letztlich in der Nordsee.

Seit einigen Jahren begleitet mich der Gedanke, von meinem Heimatort bis in die Nordsee zu paddeln, mit einem guten Freund, nur das Nötigste dabei – eine kleine Abenteuerreise mit dem Ziel, das Meer zu erreichen. Die Reise wollte ich mit meinem Kumpel Christoph machen, mit dem ich mich allwöchentlich auf dem Raceboard messe. Wir sind nicht nur sehr gute Freunde, sondern paddeln auch auf dem gleichen Level, was nicht ganz unwichtig ist für so eine Strecke.
Mitte August war es dann soweit. Es war warm, der Wind wehte das ganze Wochenende aus Osten, was idealerweise Rückenwind bedeutet. Wir packten die Sachen im Vorgarten unseres Hauses am Westensee: ein aufblasbares Zelt von „Heimplanet“, Schlafsack, leichte Kleidung, Müsliriegel, Instant-Kaffee, ein paar Tütensuppen und zwei Wasserflaschen für jeden. Wir wollten nicht zu viel Gepäck dabeihaben und planten unterwegs einzukehren; die entsprechenden Stopps und Restaurants hatten wir uns auf der Karte schon herausgesucht.

Freitagnachmittag, ein leicht verhangener Himmel, aber warm, um die 25 Grad – ideale Voraussetzungen für die 115 km Richtung Nordsee. Es ging fünf Kilometer über den Westensee, dann in die Eider, runter zum Flemhuder See und von dort in den Nord-Ostsee-Kanal. Der ursprüngliche Plan war, die ganze Strecke in die Nordsee komplett über den NOK zu paddeln. Doch ein erfahrener Paddler, der dies schon mal versucht hatte, warnte uns davor und empfahl uns, lieber auf der Eider zu bleiben. Paddler sind auf dem Nord-Ostsee-Kanal nicht so gern gesehen, obwohl es eigentlich legal ist, so dachten wir aufgrund unserer Recherchen auf diversen Kanu-Foren. Egal, wir entschieden uns für den Eider-Trip, um dem ganzen Ärger mit den Schiffern, der Polizei etc., der uns prophezeit wurde, aus dem Weg zu gehen. Wir mussten lediglich ein paar Kilometer auf dem Kanal bleiben, um dann über einen Seitenarm bei Rendsburg wieder in die Eider zu gelangen. 40 km hatten wir uns für den Nachmittag bis zu unserem ersten Stopp vorgenommen.
Wir enterten den NOK, paddelten neben riesigen Containerschiffen, wurden von Segel- und Motoryachten überholt und surften deren Heckwellen. Spaß muss sein, denn es ging sehr lange einfach nur geradeaus, doch der Frieden hielt nicht lang. Wir passierten die Fährstation in Sehestedt und freuten uns über das laute Hupen des Fährschiffs. Die wollten uns wohl grüßen, doch als das Hupen noch mit Gebrüll untermalt wurde, ahnten wir nichts Gutes, denn es hörte sich nicht nach einer freudigen Begrüßung an. „Kopf runter, Gas geben, paddel einfach weiter, dass wir hier wegkommen“, sagte ich zu Christoph. Doch er erwiderte: „Ich glaube, die verfolgen uns“. Ich sagte: „Blödsinn, das ist ein Fährschiff, die sind viel zu groß und haben Autos an Bord“. „Dreh dich mal um“, erwiderte er. Und da war er, der Fährmeister mit seinem riesigen Kahn. Mit mächtigem Gehupe und Gebrüll war er genau hinter uns und versuchte uns klarzumachen, dass wir hier nichts zu suchen haben. Er tat dies mit so einer Aggressivität, dass er auch noch versuchte, uns mit seinem Riesenpott an die Seite des Kanals zu drängeln, als er merkte, dass wir seinem Protest nicht folgten. „Raus hier“, sagte ich zu Christoph, bevor noch Schlimmeres passiert. Wir hätten die Warnung ernst nehmen sollen: Paddler sind hier gar nicht gern gesehen.

Fehler Nummer 1: Das Paddeln auf dem NOK ist seit dem 29.05.23 nicht mehr erlaubt. Wir sammelten uns kurz und beschlossen, erst mal ein Stück an Land weiterzugehen, bis wir außer Sichtweite der Fährstation waren. Aus einem kurzen Stück an Land gehen wurden dann allerdings 4 km, denn auch erneute Versuche, den Kanal noch mal zu entern, scheiterten. So mussten wir samt unserer Boards und 20 kg Gepäck auf dem Rücken bis zum Abzweiger Richtung Rendsburg zu Fuß gehen, wo Paddeln dann wieder legal war.
Dort sollte übrigens auch die erste Lokalität sein, an der wir planten zu Abend zu essen, doch aus dem Plan wurde nichts; der Laden hatte bereits geschlossen, der Fußmarsch hatte uns zu viel Zeit gekostet. Wir paddelten noch bis zur Dunkelheit, bis wir direkt an der Rendsburger Hochbrücke an einem kleinen Yachthafen einen Platz fanden, um unser Zelt aufzubauen. Gegen eine kleine Gebühr in die Kaffeekasse ließ uns der Hafenmeister dort lagern. Das Abendessen fiel aus, lediglich ein paar Tütensuppen sollten den knurrenden Magen beruhigen, bevor wir uns nach einem imposanten Auftakt unserer Reise in unser Zelt verkrümelten. Das Tagesziel hatten wir leider nicht erreicht, 25 km waren es nur und die Differenz mussten wir am nächsten Tag wieder aufholen.
Der zweite Tag
Gegen 6 Uhr morgens klingelte der Wecker. Wir hatten viel vor, allerdings hätten wir dort auch nicht länger schlafen können; unser Lager befand sich direkt unter der Autobahn-Hochbrücke. Einen schnellen Kaffee, alles aufs Board gezurrt und weiter ging’s. Der Tag begrüßte uns mit leicht verhangenen Himmel. Wir paddelten vorbei an Werften und Industrieanlagen, bis der Seitenarm in Rendsburg endete. Und als hätten wir es uns herbeigesehnt, noch mit knurrenden Mägen aufgrund der fehlenden Mahlzeit am Vorabend, lachte uns golden glänzend das große M an. Der Tag hätte nicht besser beginnen können. Wir zerrten die Boards an Land, Christoph schoss los, um uns zwei Egg-McMuffins und einen großen Kaffee zu besorgen und ich beschäftigte mich schon mal mit der weiteren Routenplanung.

Die Eider sollte am anderen Ende der Innenstadt von Rendsburg weiterführen und so mussten wir zu Fuß für circa einen Kilometer die wunderschöne Altstadt von Rendsburg kreuzen. Marschieren waren wir ja schon vom Vortag gewohnt. Von hier aus sollte die Reise dann erst mal einen friedlicheren Charakter entwickeln: Die Sonne lachte, das Wasser war spiegelglatt und die Landschaft sah vielversprechend aus. Doch hier bemerkten wir den zweiten Fehler unserer Planung, denn dort beginnt Kilometer 0 der Eider bis zur Nordsee.
Es sollten von hier noch weitere 105 km bis zum Ziel sein. Statt 115 von Westensee wie ursprünglich gedacht, sollte die Reise nun 135 km dauern. Egal, es war ein wunderschöner Tag, wir hatten Bock zu paddeln, es ist Sommer, die Tage sind lang, wir sind sehr gute Freunde und haben uns eine Menge zu erzählen. Da werden wir schon einige Kilometer hinter uns lassen.
Unser Mittagsstopp sollte in Breiholz sein und Google versprach uns, dass wir dort beim Bootsmann was zu essen bekommen. Aber nun erst mal paddeln, 20 km sollten es bis dorthin sein. Die Landschaft entlang der Eider war wunderschön. Der Fluss schlängelte sich an Wiesen vorbei, entlang dschungelartiger Wälder, passierte kleine Ortschaften mit netten Häusern direkt am Wasser. Es macht Spaß zu erleben, wie schön Schleswig-Holstein ist und wie wenig es braucht, um eine schöne Reise, ein kleines Abenteuer, gleich in der Nachbarschaft zu erleben.
Die Sonne stand hoch über uns, es war heiß, als wir in Breiholz ankamen. Wir zogen unsere Boards an Land, nahmen ein erfrischendes Bad und gingen hoch zum Bootsmann, um uns unser verdientes Mittagessen zu gönnen. Doch aus diesem Plan wurde leider nichts: Die junge Dame am Eingang klärte uns auf, dass sie erst um 17:00 Uhr aufmachen und das Einzige, was sie anbieten könne, ein Eisbecher sei. Nun gut, bevor wir wieder nichts essen – denn außer Tütensuppen und Müsliriegel hatten wir nichts dabei – also her mit dem Spaghetti-Eis. Wir wollten uns nicht lange aufhalten, im nächsten Ort, Lexfähre, circa 10 km weiter, sollte es ein weiteres Restaurant geben, so Google… also weiter.
Auf dem Weg zurück zum Wasser trafen wir noch ein sehr professionell aussehendes Kanu-Pärchen, das so ziemlich mit allem ausgestattet war, was man für einen Ausflug auf dem Wasser braucht. Unter anderem auch genaue Karten und Kenntnisse über die Distanzen. Wir erzählten ihnen von unserem Vorhaben, wie wir die Route geplant hatten, und wurden nur mit einem leichten Kopfschütteln abgefangen. „Da habt ihr euch ja was vorgenommen, dann gebt mal Gas, wenn ihr das alles noch bis morgen Abend schaffen wollt!“ Papperlapapp, wir lassen uns nicht demotivieren, weiter geht’s. In Lexfähre angekommen, hatte auch diese Lokalität erst ab 18:00 Uhr Küche, dann auch nur Buffet, und vorher gibt es nur Kaffee und Kuchen. Ok, vergessen wir das mit dem Essen, konzentrieren wir uns lieber aufs Paddeln, damit wir unser Tagesziel erreichen.

Die Eider schlängelte sich in alle Richtungen, manchmal auch in die falsche, und somit zog es sich stellenweise auch. Es kam ein leichter Wind auf und so erwies sich die Schlängelei doch als Vorteil, denn so konnte man an einem Ufer immer im Windschatten paddeln. Die Zivilisation nahm ab, man sah kaum noch Ortschaften oder Häuser am Ufer – schön war es. Einfach nichts außer Grün, kilometerlang, lediglich ein paar Angelboote überholten uns.
Es war schon früher Abend, das Paddeln hinterließ seine Spuren, so langsam wuchsen die Blasen auf den Händen heran. 35 km hatten wir schon, 15 km mussten wir noch, unser Ziel war Pahlen, wo wir übernachten sollten. Der Himmel zog sich zu, es fing an zu regnen. Ein warmer Sommerregen, der dann auch die Mücken zum Leben erweckte. Wir wurden müde, den ganzen Tag nichts gegessen, außer dieses bescheuerte Spaghetti-Eis und ein paar Energieriegel… Wir hauten kräftig in die Paddel, jetzt nicht einknicken, der Weg ist das Ziel. Ein Segler überholte uns motorisiert, und während wir stumpf vor uns her paddelten, rief er zu uns rüber: „Ihr paddelt 11 km schnell! Das ist ja der Hammer, so könnt ihr den Atlantik überqueren.“ Und da war sie wieder, die Energie. Natürlich, auch den Atlantik werden wir eines Tages überqueren. Wir paddelten mit konstantem Speed, wie motorisiert, unser Ziel vor Augen. Der Himmel riss auf und die Sonne zeigte sich noch mal, bevor sie am Horizont verschwand, als wir Pahlen erreichten. Hungrig, erschöpft und völlig durchnässt legten wir an einem kleinen Bootshafen unterhalb des Ortes an, wo wir auch wieder den Segler trafen, der uns mit seinem Zuruf aus dem Motivationstief geholt hatte. „Kann man hier übernachten?“, fragte ich ihn. „Ich denke, das sollte kein Problem sein. Ich rufe kurz die Hafenmeisterin an“, erwiderte er. „Und kann man hier wohl was zu essen bekommen? Wir haben bei Google gesehen, dass es hier eine Pizzeria geben soll“, sagte ich. „Pizzeria? Die hat schon vor drei Jahren dicht gemacht, auch der Dönermann. Während der Pandemie hat entlang der Eider so gut wie alles dicht gemacht, da werdet ihr nichts finden“, sagte er. Fehler Nummer drei: Verlass dich nicht auf Google und reise niemals ohne ausreichend Proviant.
„Da ist eine Dame, die kocht so ein bisschen à la carte“, fügte er noch hinzu, „aber ich glaube nicht, dass sie auf hat.“ Wir nehmen jede Chance wahr, Christoph wanderte los, um den Laden ausfindig zu machen, ich baute das Lager auf und hing die Sachen zum Trocknen auf. Eine halbe Stunde später stand er wieder da, und zwar mit leeren Händen. Ich konnte es nicht fassen. „Was? Sag mir nicht, der Laden hatte auch zu?“, schimpfte ich in seine Richtung. „Sie schloss vor mir die Tür ab und sagte, dass sie nichts mehr macht und jetzt mit dem Hund los will“, erklärte er. Das kann doch nicht wahr sein. Wir sind fit, haben gutes Equipment, kennen den Weg, aber das mit dem Essen beschaffen hatten wir wohl unterschätzt, und das mitten in Deutschland. Doch dann grinste er mich an. „Ich habe ihr unsere Geschichte erzählt, unser Vorhaben und das Dilemma mit der Essensbeschaffung… Da bekam sie Mitleid, sie bringt uns gleich was runter.“
Erleichterung machte sich breit, wir tauschten Seemannsgarn mit unserem Freund, dem Segler, ließen den Abend ausklingen und nach 1 ½ Stunden des Wartens stand die nette Dame mit zwei riesengroßen Salaten und Brot vor uns. Die Freude hätte nicht größer sein können! Es war Mitternacht, der Sternenhimmel war wunderschön, aber es war Zeit, ins Bett zu gehen. Am nächsten Tag stand die längste Etappe vor uns und wir sollten alle Kräfte sammeln, um es vor Einbruch der Dunkelheit an die Nordsee zu schaffen.
Der dritte Tag
Um halb 6 klingelte der Wecker, der letzte Tag unseres kurzen Abenteuers. Der Himmel war blau, die Sonne ging auf und leichter Nebel lag auf der Eider. Wir tranken einen schnellen Kaffee und checkten noch kurz unsere Vorräte. Knapp 60 km lagen vor uns, wenn wir diese bis Sonnenuntergang schaffen wollten, sollten wir keine Zeit mit Nahrungssuche vergeuden und mit dem zurechtkommen, was wir noch hatten: Energieriegel, Nüsse und Wasser. Und so sattelten wir die Boards und paddelten durch den Nebel auf die letzte Etappe.
Man spürte die Knochen, die Hände waren wund, aber es war wieder einmal ein sonniger Tag. Als so langsam die Muskeln wieder auf Betriebstemperatur waren, kam die Energie zurück und wir paddelten unserem Ziel entgegen.

Wir waren schon ein ganzes Stück westlicher, in Dithmarschen, um genau zu sein, das platte Land. Die Vegetation wurde karger, Wälder eher seltener und die Eider floss wieder gerader. Wir passierten die erste Schleuse auf unserem Weg. Der Schleusenmeister war so nett, uns als einzige zu befördern bzw. zu bedienen. Zwei Surfer-Typen auf SUPs, passiert wahrscheinlich auch nicht häufig. So wie die Landschaft wurde auch unser Gesprächspensum langsam karger, wir hatten alles erzählt, voll fokussiert auf die letzte Etappe, aber die Stimmung war gut… noch gut, was sich aber bald ändern sollte.
Entgegen der Vorhersage kam der Wind nicht mehr aus Ost, sondern nun aus Westen, also genau von vorne, erst schwach, aber er nahm langsam und stetig zu, je mehr wir uns nach Westen bewegten. Da um uns herum nur noch Wiesen waren, war auch mit Windschatten-Paddeln nichts mehr, und so kämpften wir uns mühevoll Kilometer für Kilometer voran. Wir waren schon mal besser drauf, denn langsam wurde es anstrengend, sehr anstrengend. Wir kamen an der letzten Schleuse an, diesmal war der Schleusenmeister nicht so freundlich und bat uns per Mikrofon-Ansage, streng und bestimmt, den Schleuseneingang frei zu machen, was so viel heißt wie: Ihr kommt hier nicht durch.
Also erst mal aus dem Wasser und zu Fuß über den Deich auf die andere Seite. Alles voller Schlick, ein ganz beschissener Einstieg, wenig Wasser. Christoph hasst Schlick und einen leeren Magen hasst er noch viel mehr. Wir beschlossen, erst mal die letzte Tüte Instant-Nudeln zu uns zu nehmen, um zu Kräften zu kommen und die Stimmung vor dem Endspurt zu heben. Langsam wird’s hart, vielleicht hatten wir uns zu viel vorgenommen, aber Aufgeben ist keine Option. Also ab durch den Modder und dem Wind die Stirn bieten. Doch der Wind sollte nicht unser einziges Problem sein, denn es war Flut und wir befanden uns auf dem letzten Stück der Eider, die bereits offen zur Nordsee war. Wir waren so langsam, eine Schnecke hätte uns wahrscheinlich überholt.
Und so kämpften wir uns weiter, Spaß am SUPen hatten wir in diesem Moment nicht mehr. Es ging nur noch darum, das Ziel zu erreichen und das gestaltete sich schwierig, denn wir kamen kaum voran. Um 17:00 Uhr sollte die Ebbe erst kommen, dann würden wir wieder mit der Strömung paddeln, doch geht dann unser Zeitplan überhaupt noch auf? Mein kleiner Dickkopf wurde immer größer: Ich werde das Ziel erreichen. Wenn nicht heute, dann nach Mitternacht oder morgen, aber wir geben hier nicht auf.
Die Eider wurde immer breiter, man hatte das Gefühl, der Wind machte mit dem Fluss jede Kurve mit. Wir sprachen kaum noch, teilweise paddelten wir sogar jeder auf der anderen Uferseite. Die Stimmung war schlecht, doch dann kam sie, die Ebbe. Man merkte, wie der Wind immer weniger ein Problem darstellte, die Geschwindigkeit immer weiter zunahm. Wir waren zurück im Rennen, wir werden es vor Einbruch der Dunkelheit schaffen! Wir paddelten am Ufer in einer Rinne, wo die Strömung besonders stark war. „Hättest du ein Foil unterm Board, dann würdest du jetzt abheben, so schnell bist du“, rief Christoph motivierend zu mir rüber. Wir passierten Tönning, von hier waren es nur noch 8 km bis zum Eidersperrwerk, also bis zur Nordsee. Die Leute winkten uns von der Promenade zu, jubelten, als wüssten sie, dass wir bald unser Ziel erreicht haben würden. Wir waren am Limit, aber voller Freude, dass wir es nun bald geschafft haben.
Man sah das Sperrwerk schon am Horizont, ich weiß nicht, wie schnell wir waren, aber es fühlte sich sehr schnell an. „Ey Andy, ich stech hier gerade auf Grund mit dem Paddel, du auch?“ rief Christoph mir zu. „Nein, das heißt… doch, ja“ rief ich zurück. Fehler Nummer 4: Paddelst du Richtung Nordsee, erkundige dich über die Gezeiten. Uns lief das Wasser unter der Finne so schnell weg, dass wir Gefahr liefen, das letzte Stück durch den Schlick zu Fuß gehen zu müssen, und dann würden wir es definitiv nicht mehr rechtzeitig schaffen. Wir paddelten, was das Zeug hielt. Jetzt nicht aufhören, immer auf der Suche nach einer Rinne, wo das Wasser noch tief genug war. Das Telefon klingelte, unser Shuttle am Deich, meine Freundin Meike am Telefon – sie sah uns schon in der Ferne. Ich ging kurz ran. „Ihr müsst ganz nach außen paddeln, an den anderen Rand, da ist die Fahrrinne, sonst kommt ihr hier nie an“, schallte es aus dem Telefon. Andere Seite hieß noch 2 Kilometer extra, denn die Eider war jetzt kein Fluss mehr, sondern ein Delta. Wir kämpften – ja wir kämpften, anders konnte man es nicht mehr sagen. Die Sonne ging unter, noch waren wir nicht da. Es herrschte starke Strömung im Kanal, bloß nicht reinfallen (die Leash hatten wir natürlich angelegt). Aber wir paddelten und das Licht wurde immer weniger. „Pull, Pull, Pull“, rief ich zu Christoph rüber, der Schlachtruf bei unseren wöchentlichen Paddelmatches. Wir hatten es geschafft, nur noch wenige hundert Meter trennten uns vom Ziel.
Die Finne setzte auf. Jetzt mussten wir unsere Boards noch über scharfe Muschelbänke schleppen, denn das Wasser hatte den niedrigsten Stand erreicht, als wir am Deich ankamen. Wer schon mal einen Marathon gelaufen ist, weiß, wie das sich jetzt anfühlt und was es bedeutet, am Ziel angekommen zu sein. 135 km lagen hinter uns, 3 Marathons auf dem Wasser, an einem Wochenende. Meike empfing uns mit einem kühlen Six-Pack Bier. Man sah ihr an, wie sehr sie sich mit uns freute. Sie wusste, was wir geleistet hatten. Die Treppe hinauf auf den Deich, die Sonne war schon untergegangen, der Himmel leuchtete glutrot. Wir waren am Ziel, mission completed.
Das Video dazu
„From Land to the Sea“, denn jedes Wasser endet irgendwo im Meer.
Nachwort: Wir sind nicht Casper Steinfath und umrundeten Dänemark, oder Eike Frans und Bart de Zwart, die 1000 km den Yukon hinunter paddelten. Wir haben uns unser eigenes Ziel gesetzt, was anstrengend war, aber realistisch. Und wir haben es nicht nur geschafft, sondern es war eines der schönsten kleinen Abenteuer, die ich erlebt habe. Packt eure Boards, setzt euch ein Ziel und paddelt einfach mal los, ihr werdet es nicht bereuen.
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