Yukon River Quest Bericht von Thomas Schillig

Kurz vor Ende des Sees dreht der Wind und die Wellen kommen von hinten. Vielleicht liegt es an mir oder am SUP, aber diese Wellen von hinten passen mir gar nicht. Manch anderer Stand up Paddler würde sich jetzt wohl über eine Downwind-Session freuen. Ich habe regelrecht Mühe damit und verliere auf den letzten 2km den Anschluss und paddle alleine bis zum Checkpoint am Ende des Sees.

Ich gehe an Land wo ich sogleich von einem Husky begrüsst werde und tausende Mücken über mich herfallen. Aber ein paar Schritte zu laufen tut jetzt richtig gut. Es ist bereits nach 20 Uhr und Zeit mich für die Nacht vorzubereiten. Ich ziehe unter dem Trockenanzug eine zusätzliche Thermo-Schicht an, packe neue Verpflegungsrationen aus meinen DryBags auf das SUP, fülle Wasser nach und reichere es mit ordentlich Koffein an. All zu lange bleibe ich nicht, obwohl es ein Lagerfeuer und heisses Wasser für Tee gibt. Aber die Mücken vertreiben mich und ich bin mir bewusst dass hier die Zeit ohne mich weiterläuft.

Dann endlich wieder auf dem Fluss. Es fühlt sich an wie auf einer Autobahn und die Landschaft zieht schnell vorbei. – Fast zu schnell. Denn der Abschnitt des 30-Mile Rivers zählt zu einem der schönsten auf der ganzen Reise. Ich schaue umher, geniesse die Landschaft und suche das Ufer nach Bären und anderen Tieren ab, werde aber jäh unterbrochen als mir ein Wirbel fast das Brett unter den Füssen wegzieht. Beinahe wäre ich ins Wasser gefallen weshalb ich mich entschliesse fortan mehr Achtung dem Hochwasser führenden Fluss zu schenken.

Schon bald passiere ich bei Hootalinqua die Stelle, wo die Überresten des Schaufelraddampfers Evelyn auf einer Insel liegen. Ein altes Schiffswrack aus den Goldgräberzeiten um 1900. Die mehr oder weniger intakten Holzreste können noch immer besichtigt werden, doch dafür ist leider keine Zeit. Ich erhasche kurz einen Blick darauf als ich vorsichtig nach links schaue. – Beim nächsten Besuch werde ich dann hoffentlich wieder mehr Zeit haben.

Mittlerweile sind meine Muskelschmerzen die gegen Ende des Sees aufkamen wieder weg. – Wie erwartet hat sich mein Körper nach gut 20 Stunden paddeln daran gewöhnt.

Der enge Flussabschnitt lässt Geschwindigkeiten von bis zu 19kmh zu und früher als erwartet treffe ich am ersten Pflichtstopp in Carmacks ein. Gar nicht so einfach bei dieser starken Strömung am Steg zu halten. Doch mit Hilfe der Supporter klappt es.

Drei Stunden habe ich hier kalkuliert. Umziehen – Duschen – Proteinshake – Massage – 1h schlafen – Pastafrühstück – weiterfahren. So der Plan und die Instruktionen an mein Support-Team. Doch nach dem Frühstück entscheide ich mich, noch einmal eine Stunde auszuruhen, denn ich bin zu müde und es zieht gerade eine Regenfront über das Camp. Zudem habe ich mehr als 2 Stunden Vorsprung auf das SUP hinter mir.

Gut erholt steige ich nach 4 Stunden wieder aufs SUP. Jetzt kommt der spannende Abschnitt. Der Fluss zieht immer noch sehr stark. Und es stehen die berüchtigten Five Finger Rapids an. Stromschnellen die bei normalem Wasserstand kein Problem sind. Bei Hochwasser und mit einem 14’x26“er Race-Inflatable können sie aber tricky werden. Bei einem gewöhnlichen Flussabenteuer wäre es nicht weiter schlimm ins Wasser zu fallen aber während des Rennens möchte ich das Reinfallen lieber vermeiden.

Dann kann ich es hören, das Rauschen und Toben dieser Stromschnellen. Jetzt ist es essenziell wichtig dass ich von den drei Fels-Toren das ganz rechte wähle. Ich versuche mich im rechten Fels-Tor möglichst mittig zu halten wie ich es bei der Auskundschaftung auf dem Felsen geplant habe. Ein Blick nach links, um mich zu vergewissern dass im mittleren Kanal kein grosses Schwemmholz herantreibt, denn dies könnte mich mitten in den Stromschnellen treffen. Jetzt geht alles blitzschnell, ich passiere das Tor der Rapids und habe nur eines im Kopf: mittig bleiben und bloss schauen, dass das SUP nicht ansatzweise quer kommt, sonst zieht es mich rechts an den Felsen oder links in den Strudel. – Stark durchziehen und vorne die Spitze des V-artigen Stroms anpeilen. Doch die Wellen sind höher als erwartet. Fast 2m zwischen Wellen-Berg und -Tal. Wasserschwalle überströmen mein SUP. – hoffentlich hält mein Gepäck.

Nach ein paar Sekunden ist der Spuk vorbei und ich muss bereits wieder schauen, dass ich den richtigen Weg zwischen den Inseln erwische, denn der Fluss zieht immer noch sehr schnell. So schnell dass ich bereits nach sechs Stunden den zweiten Pflichtstopp in Minto erreichen sollte.

Doch plötzlich höre ich ein Donnergrollen und sehe einen Blitz vor mir. Genau in Richtung Minto, aber zum Glück noch in weiter Ferne.

Nur noch eine Stunde bis zum wohlverdienten letzten Pflichtstopp. Und nun ziehen auch Gewitter links und rechts von mir auf. Dabei bin ich doch so kurz vor dem Etappenziel. Die Gewitter scheinen noch in einigem Abstand zu sein, dennoch entscheide ich mich kniend in Ufernähe weiter zu paddeln.

Immer mit dem Spruch eines Kajakers im Hinterkopf „We are safe with you in thunderstorms, you are the highest point around us :-)“

Dann setzen heftige Regenschauer ein. Zum Glück habe ich einen Trockenanzug und eine Neopren-Mütze welche mich vor der Auskühlung schützen, denn mit dem Regen fallen die Temperaturen um 10 bis 15 Grad Celsius.

Gegen 22Uhr erreiche ich dann endlich Minto. Ein perfektes Timing, dass auch meinen Schlaf-Rhythmus unterstützen wird. Auch hier wieder das gleiche Spiel. Essen – Schlafen – Essen. Ich gönne mir sogar noch ein paar Extra-Minuten, mache mir keinen Stress die 10 Stunden Mindest-Ruhezeit einzuhalten. Alles was darüber ist dass zählt halt zur Paddelzeit.

Als ich um 4:30 in Minto aufs SUP steige herrscht dichter Nebel über dem Fluss. Es ist praktisch nichts zu sehen. Keine Insel, kein Hügel, nicht einmal die nächste Flussbiegung. Jeder Paddler ist verpflichtet die legendäre „Rourke-Karte“ mit sich zu führen. – Eine detaillierte, handgezeichnete Karte die den gesamten Yukon River mit all seinen Biegungen, Inseln und Seitenkanälen zeigt. Als Orientierung dienen vor allem die Felswände und Hügel am Ufer, doch davon ist momentan absolut nichts zu sehen. Zum Glück habe ich mir im Voraus die Zeit genommen und die gesamte Route in meine GPS-Uhr gespeichert. Dies zahlt sich jetzt aus und so paddle ich nicht ganz blind in die letzte Etappe.

Nach einer Weile lichtet sich der Nebel und der Yukon bringt auf fast 800m Breite sein riesiges Labyrinth an Inseln zum Vorschein. Ich mache mir einen Spass daraus, mich mit einem anderen Teilnehmer in der Navigation zu messen. Es gibt so einiges zu beachten. Soll ich in der Hauptströmung bleiben und einen weiteren Radius fahren? Oder die Kurve schneiden um ein paar hundert Meter zu sparen? Lohnt es sich die Flussseite zu wechseln um im etwas Gegenwind zu verhindern? Bei einem so immens breiten Fluss sind das sehr wichtige Entscheidungen. Einmal erwische ich die schnellere Route, ein anderes Mal ist das Kajak nebenan schneller. Die Karte und die Strömung zu lesen erfordert ein gutes Auge und Intuition, aber es bietet mir auch einen sehr hohen Unterhaltungswert.

Nach ca. 580km erfolgt endlich der Zusammenfluss mit dem White River. Da dieser Fluss Vulkan-Asche mit sich führt fülle ich meine Getränke-Reserven vorher noch ein letztes Mal auf. Generell ist das Wasser im Yukon River trinkbar, es ist jedoch ratsam dem Wasser Entkeimungs-Tabletten hinzuzufügen. Allfällige Probleme würden sich allerdings erst ca. 4 Tage später, also nach Renn-Ende, bemerkbar machen.

Nun wird der Fluss noch breiter, und auch wieder langsamer. Die letzte Nacht bricht an. Bei Sonnenuntergang um 01:00 wage ich es eine Abkürzung abseits vom Hauptstrom zu nehmen mit welcher ich 1-2km Distanz einsparen kann. Ich mache mir Sorgen ob dieser Flussteil nicht verblockt ist, doch schon bei der Einfahrt erweist sich diese vermeintlich kleine Nebenfluss als durchaus breite und passierbare Möglichkeit. Die Sonne steht extrem tief am Himmel und flackert durch die kahlen Nadelbäume. Irgendwann verfärbt sich der Himmel rot und ich paddle direkt in den Sonnenuntergang… oder Aufgang? – Denn bereits um 03:00 kommt die Sonne wieder zum Vorschein. Ein wirklich magischer Moment. Aber dennoch, die letzten 40km erweisen sich als besonders hart und anstrengend. Ich kämpfe mit der Müdigkeit. Ich bin nun doch schon über 60 Stunden unterwegs und habe dabei nur 6 Stunden geschlafen. Aber es sind ja „nur“ noch 40km.

Dann endlich kommt die lang ersehnte, markante Bergkette die über Dawson City ragt ins Blickfeld. Die letzten Minuten geniesse ich nur noch. Zu wissen dass ich nach monatelangem Training und stundenlangem Paddeln mein Ziel wohlbehalten erreiche, stimmt mich freudig und wehmütig zugleich.

Schlussendlich reicht es auf den vierten Platz in der SUP-Kategorie bei der 17 Paddler teilnahmen. – Gäbe es eine separate Inflatable-Wertung hätte ich sogar eine neue Allzeit-Bestmarke gesetzt.

FAZIT

Viele Leute fragen mich, was der Reiz an so einer Sache ist und was ich während dem Rennen die ganze Zeit mache.

Nun, der grösste Reiz für mich ist der Yukon River mit seiner Geschichte. Tausende Abenteurer nahmen 1896 diesen Weg auf sich als am Klondike Gold gefunden wurde. Von Skagway ging es zu Fuss über den fast 900m hohen White Pass wo die Abenteurer am Lake Bennett den ganzen Winter hindurch Boote bauten um beim Aufbrechen des Eises über Whitehorse nach Dawson City zu gelangen. Schon damals war es ein Wettlauf. – Denn jeder wollte sich möglichst schnell das Gold in Dawson City holen.

Auch die Geschichten von Jack London faszinierten mich schon lange und so zog es mich bereits 2014 als einer der ersten Stand-Up-Paddler überhaupt auf diesen Fluss. Zwei Jahre später war ich erneut auf dem Yukon River unterwegs und erfuhr, dass an diesem legendären Rennen nun auch SUP zugelassen sind. – „Nie und Nimmer!“ sagte ich mir. Da muss man ja verrückt sein. – Einerseits die Leistung, aber andererseits ist es doch eine Schande eine solch schöne Landschaft im Eiltempo zu durchpaddeln. Wofür der gewöhnliche Abenteurer eine oder zwei Wochen einplant soll ich in 70 Stunden durcheilen?

Als ich 2018 einen Dokumentarfilm über die Stand Up Paddler Bart de Zwart und Alex de Sain am Yukon River Quest drehte, packte mich das Fieber so richtig.

Ein Jahr später stand der Entschluss fest, dass ich am Rennen 2020 teilnehmen würde.

Für mich war aber von Anfang an klar, dass ich dieses Rennen geniessen wollte und nicht ständig am Limit fahren. Also war hartes Ausdauertraining angesagt.

Wie wir alle wissen waren die Jahre 2020 und 2021 nicht gerade vom Reisefieber geprägt und so wurde auch der Yukon River Quest zweimal verschoben bzw. abgesagt.

In diesen zwei Jahren lernte ich sehr viel über Ultra-Longdistance paddeln und überwand auch meine „magische“ Grenze. Als ich immer längere Distanzen trainierte, merkte ich dass ich ab ca. 40km nicht viel müder werde. Es kam also nicht mehr drauf an ob ich 40, 60 oder 80km paddle. Solange ich genug esse, trinke und genug Zeit habe sind solche Distanzen fast problemlos möglich.

Doch was macht man 60 Stunden lang auf dem Fluss die ganze Zeit?

Zu Beginn des Rennens findet man noch schnell mal einen Paddel- und Gesprächspartner, aber je weiter man paddelt umso einsamer ist man unterwegs. Man kann sich mit etwas Musik unterhalten und die Landschaft geniessen. Für mich war ein Grossteil der Unterhaltung das lesen des Flusses und der Karte. Es gibt so unzählige Biegungen, Inseln und andere Faktoren die zu beachten sind.

Zugegeben, man muss schon damit umgehen können, über so lange Zeit alleine zu sein. Wenn man dies nicht kann so kriegt man früher oder später Halluzinationen. – Viele Teilnehmer berichten darüber. Es kursieren Storys dass sich Paddler von ihren Gummibären angegriffen fühlten, Indianerhäuptlinge sahen, im Kreis paddelten oder gar gegen die Strömung.

Ob ich das jemals wieder mache? – Auf jeden Fall!

Auf www.yukon-sup.com gibt es weitere Infos zu Training, Ernährung sowie Rennverlauf und Ranglisten.